Short Story

Süßes Erdbeermonster

Normalerweise erledigt Anton Griesbaum seine Arbeit gewissenhaft und schnell. Doch ein Erdbeerkuchen bringt seine Gedanken völlig durcheinander.

Wer Vater werden wollte, musste zu Anton Griesbaum kommen. Der Standesbeamte saß im Fachbereich Vaterschaftsfeststellungen, oben im fünften Stock, er war also zuständig für Vaterschaftsanerkennungen.

Herr Griesbaum fand, dass es in seinem Büro komisch roch. Also riss er das Fenster auf, außer der kalten Luft drang auch der Lärm der Stadt in sein Büro. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, der Stuhl knarzte und kreischte. Griesbaum seufzte und furzte. Er war, wie üblich, allein.

In einer halben Stunde hatte er den ersten Bürgertermin. Genügend Zeit also, um die Dinge in Ruhe anzugehen. Er furzte abermals und schaltete den Rechner an. Griesbaum lehnte sich zurück, der Stuhl knarzte und kreischte. Der Computer installierte ein Update. Griesbaum schob die Maus nach links und wieder nach rechts. Er fand, dass es komisch roch. Sein Stuhl knarzte und kreischte. In einer halben Stunde hatte er den ersten Bürgertermin. Griesbaum seufzte. Genügend Zeit. Er schob die Maus nach rechts. Er war allein, ganz allein. Nach links. Der Lärm der Stadt in seinem Büro, in dem es komisch roch. Weiterhin. Immer noch.

Er wollte den Eindringling beschimpfen, ihn zurechtweisen, ihn tö–

Sie hatten vorhin für Frau Schmalz gesungen, diese dumme Kuh. Wer Vater werden wollte, musste zu Anton Griesbaum kommen. Sein Stuhl knarzte und kreischte. In einer halben Stunde hatte er den ersten Bürgertermin. Der Standesbeamte atmete bewusst ein und aus. Seufzte. Stöhnte. Schnaufte.

Plötzlich klopfte jemand energisch an die Tür, Griesbaum erschrak, die Tür ging auf, es gab einen heftigen Durchzug. Da stand ein junger Mann in seinem Büro.

«Guten Tag», rief Griesbaum reflexhaft, es rutschte ihm so raus, eigentlich wollte er den Eindringling beschimpfen, ihn zurechtweisen, ihn tö–

«Sorry, bin ein bisschen früh dran», sagte der junge Mann. «Aber ich dachte, dass ich vielleicht schon jetzt –»

«Ach, Mensch», unterbrach Griesbaum. Sein Gehirn brannte wie ein furztrockener Wald. Er hätte abermals furzen wollen, aber das ging jetzt nicht.

«Ich habe nicht damit gerechnet, so gut durch die City zu kommen», erklärte der junge Mann und setzte sich einfach so auf einen der drei Besucherstühle. «Alle Ampeln grün – ist doch seltsam.»

«Gewiss», bestätigte Griesbaum, der den Lärm der Stadt nicht mehr wahrnahm. «Dann wollen wir mal», sagte er automatisch, obwohl er gar nicht wollte.

Der Computer klickte und surrte, schnarrte und rauschte. Der junge Mann saß schweigend da und wartete ab. Hände im Schoß, Blick aus dem geöffneten Fenster. Endlich war das Update installiert.

Der Beamte tippte sein Passwort in die Eingabemaske und öffnete das Programm. Der Prozess war klar geregelt, doch Griesbaum brannte komplett. Der junge Mann hatte zwischendurch den geforderten Papierstapel auf den Schreibtisch gelegt. Griesbaum sah sich pflichtbewusst das Material an, prüfte und dachte nach – er verstand kein Wort, nichts, rein gar nichts. Ratlos saß er da, normalerweise funktionierte er reibungslos, er machte das alles im Tiefschlaf. Doch jetzt sah er Buchstaben und Zahlen, die keinen Sinn ergaben.
Das Fenster war noch offen. Ein Luftzug: Es roch nach Erdbeeren. Da stand er noch, der Kuchen, den er essen wollte.

Anton Griesbaum, der Witwer – Anton G., das «süße Erdbeermonster»

Griesbaum erhob sich und ging zum Fenster, schaute auf die Stadt, ignorierte seinen Gast. Draußen fuhren Autos, wie immer, da fuhren sie alle herum. Auch er würde nach Feierabend mit seinem Fiat Panda auf die Hauptstraße einbiegen. Und alle Ampeln würden rot sein, hehe, und er würde furzen und das Radio anmachen, hehe, er würde an jeder Ampel stehen und warten, manchmal lange im Stau stecken bleiben – da stand er dann: Anton Griesbaum, der Standesbeamte aus der Fachabteilung Vaterschaftsfeststellungen – Anton Griesbaum, der Witwer – Anton G., das «süße Erdbeermonster».

Seine liebe Frau Ingrid hatte jeden Sonntag den besten Erdbeerkuchen der Welt gebacken. Jetzt lag Ingrid Griesbaum in einer Urne auf dem Friedhof am anderen Ende der Stadt – von hier aus gesehen.

«Entschuldigung?»

Er schaute in den grauen Himmel. Hinter den Wolken seine allerliebste Ingrid.

«Hallo?»

Anton Griesbaum drehte sich um: Der junge Mann schaute ihn fragend an. Griesbaum furzte laut und lang. Dann schloss er das Fenster und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch, auf dem der Erdbeerkuchen stand, den Frau Schmalz heute zu ihrem 52. Geburtstag ins Büro mitgebracht hatte. Vorhin hatten sie gemeinsam gesungen: «Happy Birthday to you, happy birthday to you.»

Diese dumme Kuh, hatte Griesbaum gedacht, sich aber doch auf den Kuchen gefreut.