Margret gehört ins Jenseits
Im Jenseits kippelt jeder verdammte Tisch und alles klebt. Der Fußboden, der Tresen, die Tische und sogar die Wände. Stört aber keinen.
«Unsere Gäste wollen trinken und sich verlieben», diktierte Margret der Lokaljournalistin in den Block. Sie hatte sofort bei der Lokalzeitung angerufen, nachdem Herr Glombinski ihr die Schlüssel für die kleine Kneipe überreicht hatte. Die Volontärin versuchte nun, Margrets Redefluss mitzuschreiben.
«Das Jenseits hieß vorher Abseits», erklärte Margret. «Jedes Wochenende Fußball, aber kein gutes Trinkgeld. Und dann noch die besoffenen Fans in der Kneipe.»
Für Ballsport hat Margret nichts übrig. Sie kann Fußball nicht leiden, man könnte auch sagen: Sie hasst diesen scheiß Sport. «Aber schreiben Sie das nicht!»
Die uralten Fernseher kamen weg und die Fußballfans nie wieder.
«Und warum Jenseits als neuer Name?», fragte die junge Journalistin.
Margret habe eine makabre Vorliebe für den Tod und das süße Leben danach, erklärte sie leicht euphorisch. Und obwohl der Sockenbügler von der «scheiß Sparkasse» gegen eine Umbenennung der Bar war, setzte Margret sich durch und voller Tatendrang an den Rechner, um ein neues Logo zu entwerfen. Es zeigt einen Sarg, aus dem eine Hand ragt, die zwischen Zeigefinger und Daumen ein Martini-Glas hält, aus dem prickelnde Bläschen aufsteigen.
«Allein das Logo lockt immer wieder Leute ins Jenseits», erzählte Margret der eilig mitschreibenden Journalistin, die zweifelnd nickte, aber nicht weiter nachfragte, sondern schnell schrieb, schrieb, schrieb. Eigentlich musste sie dringend weiter, um über ein Gebüsch zu berichten, das jemand mutwillig aus dem Erdreich gerissen hatte.
«Und was haben Sie davor gemacht?», fragte die Journalistin pflichtbewusst.
Dämonen, Sadisten, Serienmörder
Margret hatte jahrelang die meiste Zeit ihrer Zeit in der Sonne verbracht. Es roch nach Frittierfett, nach Pommes, nach Sonnencreme. Im Gebüsch roch es dezent nach Pisse, weil der kleine Leif es nicht lassen konnte, seinen schrumpeligen Schniedel ins Gestrüpp zu halten. Als Bademeisterin im Freibad verdiente Margret etwas Geld und Respekt.
Das ging so lange gut, bis im Spätsommer der alte Terrier von Frau Pfeiffer-Spielmann im Kinderbecken ertrank. Unter Margrets Aufsicht. Dass es zu einem Unglück gekommen sein musste, bemerkte sie erst, als sich die Kinder am kleinen Becken zusammenrotteten und neugierig mit Stöcken in das tote Tier piksten und das Wasser sich rot färbte. Ein paar Kinder kreischten, andere lachten vergnügt. «Diese kleinen Dämonen, Sadisten, angehende Serienmörder!»
Kurzzeitig verspürte Margret Erleichterung, als sie den Terrier von Frau Pfeiffer-Spielmann erkannte. «Dann fühlte ich mich sterbenselend.»
Margret verlor die Lust auf den Geruch von Chlor am Morgen. «Ich kündigte und kaufte das Jenseits.»
Der vorherige Besitzer, Rainer Glombinski, konnte nicht mehr – wollte nicht mehr. Margret lächelte und strich mit der Hand über den klebrigen Tresen. «Ich gehöre einfach hierher, ins Jenseits.»
Diese Story ist ein Teaser für eine längere Geschichte. Darin geht es auch um Paul, der hier keine Erwähnung fand. Und das ist ja wieder typisch: Niemand sieht Paul, niemand möchte mit ihm reden. Nur Margret, die hat ein Ohr für den armen Jungen. Hilft ihm am Ende aber auch nicht.