Threads: Rage Bait einmal ausprobiert

Rage Bait bezeichnet Beiträge, die eine starke Emotion auslösen sollen. Die perfekte Plattform dafür: Threads. Ein Selbstversuch.

Mit dem ICE ging’s neulich von Bielefeld nach Hannover. Wir hatten drei Plätze im «Familienbereich» reserviert, an einem 4er-Tisch, denn da konnte der Sohn seine Bücher ausbreiten – und alles andere. Doch im 4er saßen drei Männer. Ohne Kinder. Widerwillig räumten sie die Plätze, es waren genügend andere Sitze frei. Ich fragte mich unweigerlich: Ist es eigentlich in Ordnung, dass drei kinderlose Männer im Familienbereich einen 4er-Tisch belegen? Ist das angebracht oder unverschämt?

Ich wusste keine Antwort und fragte deshalb bei Threads nach – der beste Ort, um kontroverse Fragen zur Diskussion zu stellen. Die Nutzer lieben Rage Baiting, das habe ich inzwischen verstanden. Mein Post wurde dann auch 125.000-mal aufgerufen. In 550 Kommentaren diskutierten die Nutzer diese brennende Frage unserer Zeit. Der Ton war vereinzelt aggressiv, aber das gehört zu Social Media wohl dazu. (Dass sich Leute im Ton vergreifen und ihre Manieren verlieren.)

«Wo ist das Problem?»

Erstaunlich viele Leute haben offenbar noch nie vom Familienbereich gehört und auch nicht vom Kleinkindabteil. Bei meiner Ursprungsfrage war ich auch etwas ungenau und habe den Bereich «Familienabteil» genannt. Falsch! Denn ein Abteil hat Schiebetüren, wie eben auch das Kleinkindabteil.


Mildly interesting: Trotz der großen Aufmerksamkeit habe ich keinen einzigen Follower dazubekommen. Ich bin weiterhin ein kleines Licht mit nicht einmal 70 Abonnenten, was mich kaum traurig macht. Wahrscheinlich habe ich immerhin etwas über Deutschland gelernt, über die Gesellschaft und darüber, wie sehr manche Menschen Kinder … nicht mögen. (Ich mag aber auch nicht jedes Kind, mein eigenes aber schon, das ist nämlich super.)

«Junge, was laberst du?»

Komisch fand ich, dass sich viele Leute auf den Familienbegriff bezogen haben – sie haben nicht begriffen, dass der Bereich vor allem für Kinder (und deren Eltern) gedacht ist. Stattdessen vermuteten viele, dass die drei Männer bestimmt Brüder oder Cousins waren, also ja dann eben doch: eine Familie! (Haha.) Die Bahn selbst erklärt jedoch: «Im Familienbereich der ICE- und Intercity-Züge sind Familien mit Kindern im Kindergarten- oder Grundschulalter perfekt aufgehoben.» Die sollen halt nicht im Ruhebereich herumbrüllen, denn da sitzen die Businesskasper mit ihren ThinkPads und tun so, als würden sie hart arbeiten, aber in Wahrheit schreiben sie bei Threads, wie doof Kinder sind (etc.).

Immerhin konnte ich wohl so manchem Threads-Nutzer etwas beibringen: Dass es in den Zügen tatsächlich Bereiche gibt, die Kindern das Reisen etwas erträglicher machen sollen. Drei Männer ohne Kinder haben dort eigentlich nichts verloren. Selbst, wenn sie Cousins sind. Eigentlich ganz einfach.

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Daniel Berger ist Tech-Journalist in Hannover, er schreibt Artikel über das Internet. Außerdem bloggt er Stadtgeschichten über Hannover. Mehr