Stilkritik: Deutsche Fewos sind pottenhässlich

Natürlich würden wir dieses Jahr gern ins Ausland reisen, nach Tel Aviv vielleicht, oder nach Paris. Nach Madrid oder Cagliari. Als Plan B schwebt uns nun aber Sylt vor, der Deutschen liebste Insel, das Zuhause von Gosch und Sansibar. Als Kind habe ich dort (fast) Fahrradfahren gelernt1. Seitdem will ich zurück nach Westerland. Allerdings hat ein Urlaub in Deutschland so seine Eigenheiten, wie ich bereits in der Notiz zu Dangast ausgeführt habe.

  1. Außerdem habe ich mich auf Sylt heftig übergeben müssen. (TMI?) Schon seltsam, welche Ereignisse im Hirn ein ewiges Zuhause finden: Ich sehe mich als Kind vor einem flachen Fliesentisch sitzen, der vor einer braunen Couch steht. Ich hocke auf dem Teppich und betrachte den Vanillepudding, der vor mir steht und auf dessen Oberfläche sich eine eklige Haut gebildet hat. Außerdem steht da ein Wurstbrot und noch mehr. Ich esse alles durcheinander auf – später wird mir richtig übel und so weiter, und so fort.

Auf der Suche nach einer hübschen Unterkunft auf Sylt werden wir abermals mit einem grässlichen Umstand konfrontiert: Deutschland hat keinen Geschmack, Deutschland will von modernem Interior Design nichts wissen. In den meisten Ferienwohnungen spielt guter Stil schlicht keine Rolle – nicht einmal Statist ist er. Da werden Wände orange angemalt, als wäre das eine hervorragende Idee. Da werden unironisch Wandtattoos in die Raufasertapete gestochen und «lustige» Sprüche im ganzen Haus verteilt. Da werden Sperrmüllstühle aufgestellt, Ledersofas, blaue Sessel, Fliesentische usw. Die Bettwäsche ist blutrot, als wäre im Schlafzimmer ein brutaler Mord geschehen. Als hätte ein Triebtäter lustvoll ein Massaker veranstaltet. Der zuständige Ermittler: «Ich mach den Job seit 30 Jahren, aber so eine Ungeheuerlichkeit habe ich noch nie gesehen!»

Fewos from Hell, eine eilig erstellte Auswahl.

Bei der Farbgestaltung vieler Fewos gilt offenbar der Grundsatz: Die eine Wand ist weiß – also muss der ganze Rest völlig farbenfroh sein. Teppiche in blau? Wie das Meer! Ledersofas in beige? Wie der Strand! Vorhänge in gelb? Wie die gleißende Sonne! Deutsche Ferienwohnungen sind das krasse Gegenteil von AD. Trotzdem kostet die Nacht 150 Euro. Es ist zum Verzweifeln.

Ein positiver Gedanke am Morgen kann Deinen ganzen Tag verändern – behauptet das Wandtattoo

Eine Stilkritik

Leise wimmernd2 klicke ich mich durch die Portale und betrachte durch einen Tränenschleier die Fotos. In der einen Fewo sind die beiden Sessel mintgrün und mit einem pelzigen Samtstoff bezogen; als säße man auf Schimmel. In der Ecke steht ein Deckenfluter, der ist goldig und zwanzig Jahre alt. Für die Gemütlichkeit sollen Deko-Elemente sorgen, die in anderen Wohnungen irgendwie übrig waren. Da steht zum Beispiel ein verstaubter Mini-Leuchtturm, der nie leuchten wird. Und an den Wänden hängen Bilder, die laut brüllen: «Belanglos, beliebig – Augenkrebs!» Ich sehe Bilder mit Strandkörben, Muscheln und Sand. Als müssten die Fewos unbedingt die Außenwelt spiegeln. Ästhetische Faulheit allerorten. Ich kann nicht mehr.

  1. Heute wird mir nicht mehr nur vom Essen übel, sondern von der grotesken Hässlichkeit, die viele Ferienwohnungen auszeichnet. Ich verstehe nicht, wieso die Vermieter nicht einfach alles bei IKEA erwerben. Warum dieser Zwang, seinen Sperrmüll nicht abholen zu lassen und stattdessen ins Ferienhaus zu stellen? Als wäre die Fewo ein Gnadenhof für bauchige Röhrenfernseher. Nachhaltigkeit hin oder her – nach zwei, drei Jahrzehnten hat das olle Sofa seinen Tod redlich verdient! Lasst es sterben, lasst es brennen. (Usw.)

PS: Wem es wie mir geht, sollte sich die Seite Urlaubsarchitektur angucken: Dort sind «architektonisch anspruchsvolle Ferien- und Gästehäuser» verzeichnet. Ein Lichtblick!

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Daniel Berger ist Tech-Journalist in Hannover, er schreibt Artikel über das Internet. Außerdem bloggt er Stadtgeschichten über Hannover. Mehr