Das Büro des Notars war ein enges Kabuff. Überall türmten sich Papiere und Akten. Menschen saßen dicht zusammen und standen eng nebeneinander. Meine Mutter war da und meine Schwester. Meine Großeltern waren da, weil sie ihren Sohn überlebt hatten. Ein paar Freunde meines Vaters waren da; manche von ihnen habe ich noch nie gesehen.
Der Notar drängelte sich an meinen Verwandten vorbei und ließ sich in den Sessel hinterm Schreibtisch fallen.
«Guten Morgen, ich heiße Hugo von Waldhausen.»
Hier und da erwiderten manche die Begrüßung, murmelnd und verhalten.
«Möchte jemand etwas trinken?», fragte der Notar und schaute erwartungsvoll in die Runde.
«Haben Sie Orangensaft?», fragte meine Schwester.
Hugo zuckte mit den Schultern und rief seine Sekretärin. Sie hieß Madeleine und erschrak, als sie das kleine Büro betrat; ein Büro gefüllt mit so vielen Leuten – ist das überhaupt legal? Und was ist mit dem Brandschutz? Und gibt es überhaupt genügend Luft für alle? Nicht, dass hier alle ersticken, die vielen Leichen – die muss sie dann wieder entsorgen, also zersägen und irgendwie verschwinden lassen (und so fort). Hugo würde sich rasch in den Feierabend verabschieden, die Memme kann doch kein Blut sehen!
Madeleine seufzte hörbar. Also Hugo, was ist?
«Bringen Sie den Herr- und Frauschaften bitte Orangensaft.»
«Mit Fruchtfleisch?», fragte die Sekretärin gewissenhaft.
«Mit Fruchtfleisch?», fragte Hugo v. W. meine Schwester, die kurz überlegte und dann sagte: «Bitte.»
«Mit Fruchtfleisch», bestätigte Hugo.
«Das hörte ich selbst», brummte Madeleine und verschwand. Sie schloss hinter sich die Tür. Auch das Fenster war zu, stand nicht mal auf kipp.
Nehmen Sie das Erbe an? Ich hätte nein sagen sollen
Hugo von Waldhausen räusperte sich und sagte: «Sie sind heute hier, um das Erbe anzutreten, das Ihnen Herr Gustav Goldberger vermacht hat. Mein herzliches Beileid übrigens.»
Leise bedankte man sich. Hugo brauchte eine Weile, bis er seine Zettel einigermaßen geordnet hatte. Es wurde merklich wärmer und durchaus stickig. Die Zeit verging so zäh, als hätte sie keine Lust mehr. Zwischendurch verteilte Madeleine Pappbecher und schenkte Orangensaft aus, «leider ohne Fruchtfleisch», wie sie zerknirscht erklärte.
Ich war wie in Trance, ganz weit weg, bis ich irgendwann an der Reihe war: «Herr Goldberger?»
«Das bin ich», bestätigte ich, obwohl die Hälfte der Leute auch so hieß. Herr Goldberger – das war in dem Moment nur ich. Hugo blätterte summend um.
«Also», sagte er schließlich, «Ihnen hat Ihr ehemaliger Vater einen – jetzt muss ich genau schauen, einen Augenblick. Sie erben einen Linienbus. Baujahr: 1997, Farbe: beige-weiß.»
«Ich erbe einen Linienbus?», fragte ich sicherheitshalber nach.
«Jawohl, von Scania, die sind teuer.»
Keine Ahnung, was ein Linienbus kostet, keine Ahnung, was ich damit anfangen sollte. Und keine Ahnung, wieso mein Vater überhaupt einen Linienbus besaß.
«Nehmen Sie das Erbe denn an?», fragte Hugo von Waldhausen. Er grinste. Und ich hätte einfach nein sagen sollen.