Short Story

Hausverbot bei Edeka

Wohin verschlägt es uns im Leben? Wer hat noch Träume – und wer ist wirklich glücklich? Eine Begegnung im Supermarkt.

«Bei Edeka hab ich Hausverbot», sagt er stolz. «Wegen einer Bierkiste.» Die stand unten im Wagen, das hat die Kassiererin aber nicht gesehen. Der Ladendetektiv schon. Der hat Frederik am Ausgang abgefangen: «Bon, bitte!», rief er und streckte seine Hand aus. Die Kiste fehlte auf der Rechnung.

Frederik grinst. Stört ihn nicht. Er geht jetzt bei Rewe einkaufen.

Ich habe ihn ewig nicht gesehen, Jahre nicht, vielleicht ein Jahrzehnt nicht. Früher sind wir zusammen in die Schule gegangen – in die Grundschule, die Orientierungsstufe, aufs Gymnasium. Frederik lebt noch immer im Ort. Andere Schulfreunde sind weggezogen, fürs Studium in eine andere Stadt gegangen, nach Göttingen, nach London. Nach Hamburg, nach Berlin. Ich bin noch immer hier, zwar nicht mehr im Ort, sondern in der Stadt. In der Stadt, die an den Ort angrenzt. Dort wohne ich in einer winzigen Wohnung unterm Dach. Mein Nachbar ist ein verurteilter Triebtäter, der exzellent kochen kann.


Ein anderer Schulfreund hat es bis nach China geschafft. Peter fuhr dort mit einem kleinen Roller durch den Smog, hatte immer Kopfschmerzen, er ging dann nach Irland. Ein anderer Freund hat sich nach Hamburg abgesetzt und dort eine Familie gegründet. Ich war da noch im Studium, letztes Semester Geografie, und ich fragte mich allmählich, was eigentlich danach kommen soll. Nach all den Klausuren und den Hausarbeiten, die niemand las. Ich hatte keine Ahnung, nicht mal einen blassen Schimmer.

Vielleicht erst mal kassieren. Aber hätte ich die Bierkiste entdeckt? Oben hängt doch der Spiegel über dem Kunden, etwas geneigt, damit man von der Kasse aus sehen kann, was alles noch im Wagen liegt. Was da «vergessen» wurde. Ich sah mich da schon sitzen, an Kasse #1, mit meinem brandneuen Uni-Abschluss. Meine Fantasie blühte nicht. Ich hatte keine Vision, keine Idee, keinen Drang. Wollte nur ausschlafen. Ich wurde dann Redakteur und redigierte Horoskope.


Andere Schulfreunde – na ja, eher Bekannte – haben Karriere gemacht. Manche sind bei der Sparkasse, manche bei der Versicherung, manche beim Landesamt für Statistik. Eine Schulfreundin ist Richterin, eine andere Anwältin bei einem großen Konzern.

Manchmal sehe ich sie in der Bahn sitzen. Müde Gesichter, Körper in Anzügen. Hackfressen. Die meisten ehemaligen Mitschülerinnen und Mitschüler sehe ich aber gar nicht mehr. Abi-Feier und danach für immer weg. Weit weg. Trinkt aus, wir gehen: Das war unser Abi-Motto.

Ein paar sind geblieben: Neulich traf ich zwei ehemalige Mitschülerinnen im Freibad. Sie haben Kinder und Reihenhäuser, sie leben im Ort neben dem Ort. Sie wirkten genervt und müde. Tabea, die fand ich mal gut. Sie mich nicht. Überhaupt nicht. Sind sie jetzt glücklich? Das haben sie mir nicht verraten. Auch nicht, ob sie schon mal Hausverbot bei Edeka hatten.

«Das war ehrlich ein Versehen!», ruft Frederik. Hat den Ladendetektiv aber nicht interessiert: Ein Jahr Hausverbot als Strafe, danach darf Frederik wieder hin. Bis dahin also Rewe. Oder Aldi. Oder Lidl.

«Also, bis dann», ruft er und schiebt seinen Wagen durch den Ausgang.