Marions Lieblingstasse

Da steht der neue Mitarbeiter und trinkt seinen Kaffee ausgerechnet aus der Gute-Laune-Tasse von Marion.

Die Firma baute auch Panzer, aber das sollten die Mitarbeiter nicht so deutlich sagen. Der Formulierungsvorschlag aus der Geschäftsführung lautete: Das Unternehmen würde «den Streitkräften zuarbeiten». Dieter Rehbein interessierte das Wording kein bisschen. Er gab gern und ständig damit an, für einen deutschen Panzerhersteller tätig zu sein. Er fand’s außerdem richtig lustig, Öko-Pazifisten zu schocken.

«Diese Blicke immer, köstlich!», rief er vergnügt dem Neuen zu, der etwas verloren neben der Kaffeemaschine herumstand. In der Hand hielt er ausgerechnet die sonnengelbe Gute-Laune-Tasse.

«Junge, da hast du aber Schwein gehabt!», rief Dieter Rehbein, als er die Tasse erkannte.

«Wieso?», fragte der Neue irritiert.

«Das da ist Marions Lieblingstasse», erklärte Dieter. «Die hat aber Urlaub.»

Der Neue – er hieß offenbar Martin – entschuldigte sich bei ihm und murmelte: «Das wusste ich nicht.»

Dieter grinste und schlug dem Neuen freundschaftlich auf die Schulter; es knallte und tat weh. Und fast wäre ihm Marions Tasse aus der Hand gerutscht.


Vor einer Weile hatte Marion eine E-Mail an den großen Verteiler verschickt – also an alle Mitarbeiter und die Geschäftsführung. In der Mail hatte sie sich in ungewohnt scharfen Worten darüber echauffiert, dass ein Unbekannter ihre Gute-Laune-Tasse gestohlen habe. Sie gab dem Täter – er musste männlich sein – 24 Stunden Zeit, die Tasse wieder an ihren angestammten Platz zu stellen. (Der Hängeschrank ganz rechts.) Sonst würde sie zur Polizei gehen, Anzeige erstatten und auf eine harte Strafe hoffen. Tatsächlich tauchte die sonnengelbe Gute-Laune-Tasse am nächsten Morgen wieder auf. Unversehrt und abgewaschen stand sie im Hängeschrank ganz rechts.


Marion war die Chefsekretärin von Herrn Trabant, der in seinem Chefsessel (und mit gespreizten Beinen) den Neuen begrüßte.

«Setzen Sie sich, Marvin. Kaffee?»

«Danke, gern mit Mi–»

«MARION!», brüllte der Chef.

Nicht da!

Ach ja.

Die Assistentin der Sekretärin hieß Claudia – Trabant nannte sie zumindest so und ignorierte, dass sie eigentlich Claudine hieß.

«Bringense mal zwo Kaffee», befahl er im zackigen Ton. In die sonnengelbe Tasse kippte Herr Trabant dann eine halbe Tonne Zucker. Er rührte klimpernd um und schmiss den kleinen Löffel lässig auf den Tisch.

Der Neue traute sich nicht, nach Milch zu fragen, und trank den Kaffee deshalb schwarz. Die heiße Plörre schmeckte nach verbrannter Erde.

«Jetzt mal Klartext, Marvin: Ich erwarte viel von Ihnen», sagte der Chef. «Das, was das Rehbeinchen in einer Woche macht, machen Sie künftig in einer Stunde.»

Der Chef grinste haifischartig und wischte sich die Schuppen von der Schulter. Durch die Luft schwirrte eine dicke Fliege. Es roch nach Altöl.

«Also, dann wollen wir mal», rief Trabant. Der Neue sollte eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen. «Marion, bringense mal die Unterlagen!»

Nicht da!

Ach ja.

«Claudia! Die Unterlagen!»

Claudine brachte eine Ledermappe, die ein paar Blätter sandwichte. Der Chef reichte dem Neuen einen Werbestift, auf dem in serifenloser Strenge der Firmenname stand: DEUTSCHE STAHL UND EXPLOSION. Der Neue unterschrieb in kindlicher Schönschrift.

«Behaltense den Stift», sagte der Chef gönnerhaft und verscheuchte mit der Hand die fette Fliege. Der Neue fühlte sich mitgemeint und verließ rasch das Büro. Er hielt den Stift krampfhaft umklammert. Irgendwo summte eine Fliege.