Street Photography macht keinen Spaß
Manchmal flaniere ich durch die Stadt und fotografiere dabei Dinge: hübsche Hauswände, alte Autos, Straßen, Mülltüten und was mir sonst ins Auge fällt. – Plötzlich ruft ein Mann: «Entschuldigung?» – Ich bleibe stehen: «Ja, bitte?» – Was ich da fotografieren würde, will der Fremde in Funktionsjacke wissen. Er steht mit seinem Fahrrad auf der Straße und bäumt sich einigermaßen auf. Ich seufze. Nun muss ich wieder erklären, was ich da tue. Eigentlich möchte ich nur ungestört durch die Straßen streunen. Möchte gelegentlich ein Foto machen. Ich fotografiere gern Sachen, die andere ignorieren. Und manchmal fotografiere ich sogar Fremde; klassische Street Photography eben.
Immer wieder muss ich diesen Umstand erklären. Vor allem in Hannover. Ein Kerl wollte mich sogar schlagen, mir die Fresse polieren. Womöglich ein Zuhälter, ein kleiner Gauner. Ein anderer Mann wollte mich auch schlagen, aber ich war schneller (und nüchtern). Die Leute – Männer – sind erstaunlich aggressiv, dabei habe ich nur eine Wand fotografiert, eine bunte Fassade. Es sei eben merkwürdig, wenn jemand durch die Straße schleicht und sämtliche Klingelschilder abfotografiert, argumentiert der Mann in der Funktionsjacke. Und die Nummernschilder! Ist das überhaupt legal?
Dass ich gar keine Klingelschilder und Nummernschilder fotografiere, glaubt der Mann mir nicht. Es habe Einbrüche gegeben. Zweimal beim Nachbarn, behauptet der Mann. Ich bin quasi ein Verdächtiger. Am liebsten würde der Mann die Bullen rufen. (Einmal hat jemand tatsächlich die Polizei alarmiert und ich musste mich ausweisen. Ich habe aber nichts Verbotenes gemacht, nur fotografiert. Es gilt ja auch die Panoramafreiheit – und so weiter.)
I'm a Creep, I'm a Weirdo
Es sind solche Begegnungen, auf die ich keine Lust mehr habe (und nie hatte). Ich habe keine Lust mehr, mich regelmäßig zu rechtfertigen. Erstaunlich ist, dass es an der Kamera liegt: Jeder Vollidiot kann heute heimlich und unauffällig mit dem Smartphone fotografieren und sogar 4K-Videos aufnehmen; in der Bahn die Leute abfilmen und vieles mehr. Kriegt eben keiner mit. Wenn ich aber mit einer Sony Alpha oder einer Fuji X-T3 durch die Gegend renne, schon. Da schauen die Leute und fragen sich: «Was macht der Triebtäter da?» Ich bin der Creep, der angezeigt gehört! Dabei schaue ich nur genau hin und fotografiere die Struktur der Stadt, auf die das warme Sonnenlicht fällt. Es sind die Kleinig–
«Blablabla!», brüllt der Kerl oben aus dem dritten Stock. Er lehnt sich weiter aus dem Fenster. Hat nur ein Unterhemd an. Mit gelben Flecken. «Is‘ das jetzt Kunst, oder was?» Er hat mich dabei erwischt, wie ich irgendeinen Schrott auf der Straße fotografiert habe. «Ist doch Quatsch!» Also gut: Ich werde ab sofort Tierfotograf. Die Biester halten wenigstens ihr Maul.
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Daniel Berger ist Tech-Journalist in Hannover, er schreibt Artikel über das Internet. Außerdem bloggt er Stadtgeschichten über Hannover. Mehr