Oben röchelt der König

Schwindmann ist ein Herrscher am Rande des Verfalls. Seine Firma ist alles, was ihm von seiner Familie geblieben ist. Und bald würde auch er sterben.

Schwindmann atmete schwer, als sein Körper mit dem Ledersessel verschmolz. In der Luft lag ein intensives Herrenparfüm, das den stechenden Geruch überdecken musste. Er kam in Schüben aus seinem Mund. Eine Schönheit war er nicht, aber er hatte das Sagen: Klaus W. Schwindmann war Firmenerbe und Geschäftsführer der Schwindmann & Söhne GmbH & Co. KG, Hersteller von Muffelöfen aller Größen.

Schwindmann saß hinter seinem Schreibtisch. Vor ihm saß Regina Taube aus dem Marketing. Er habe sie einbestellt, erklärte der Chef, weil er Klarheit brauche. Schwindmann nestelte an seinem zu breiten Krawattenknoten herum und räusperte sich wiederholt. Sein Körper war umhüllt von teurer Kleidung, die aber schlecht saß: Die Anzugärmel waren zu lang und die Schulterpolster lappten über seine weichen Schultern. Seit seine zweite Ehefrau ihn für einen Flipper verlassen hatte, musste Schwindmann sich allein einkleiden. Prompt entsprach er dem Klischee des einsamen Mannes, der keinen Blick für Mode hatte und sich deshalb stets für das falsche Kleidungsstück entschied. Niemand verhinderte das – auch keine Modeverkäuferin. Schwindmanns Gewohnheit war, unnötig schroff zu Frauen zu sein. Also drehten die Verkäuferinnen ihm teure Stücke an, die dringend wegmussten, die Übergrößen und unmodischen Ladenhüter aus der hintersten Lagerecke. Es war ihre kleine Rache an diesem unangenehmen Kunden, der fürchterlich aus dem Maul stank.


Frau Taube hasste jede Sekunde in Schwindmanns Büro, das erstaunlich eng und stickig war. Die Firma hatte vor einigen Jahren einen hässlichen Zweckbau in einem Gewerbegebiet bezogen, einen grauen Betonschuhkarton mit vier Stockwerken, kleinem Parkplatz vor dem Gebäude und einem größeren dahinter. Hinten standen allerdings die ausrangierten Wohnwagen von Schwindmanns verstorbenen Brüdern herum und zerfielen seit Jahren. Viele Mitarbeiter mieden diese Mischung aus Parkplatz und Schrottplatz; sie parkten lieber vorn am Straßenrand.

Die Jahre 1933 bis 1945 fehlten

Schwindmann lachte plötzlich und viel zu laut; Taube erschrak fürchterlich, sie zuckte zusammen. Schwindmanns Lachanfälle endeten stets in heftigen Hustanfällen. Er war ein kranker Mann. Ein leidender Leib im Ledersessel. Seine ungesunde Lebensweise rächte sich immer boshafter, neulich mussten sie dem Schwindmann den ganzen Magen auspumpen und neu mit synthetischer Magensäure befüllen, weil die natürliche sich zu einem gefährlichen Gebräu verändert hatte, das sich fröhlich durch die Darmwände fraß und weiter, immer weiter, vorbei an wuchernden Krebszellen, hinein in die üppige Fettleber, in die verkrusteten Nieren, ins zähe Fett.

Oder so ähnlich – Schwindmann hatte seine Körpervorgänge recht undeutlich erklärt, zum Einstieg, nachdem er gesagt hatte: «Setzen Sie sich, Taube.»

Sie möge bitte seinen fauligen Mundgeruch entschuldigen, sein Körper reagiere arg auf die neue Magensäure.

Frau Taube hatte nicht aufmerksam zugehört, ihre Gedanken drehten sich um den Grund ihrer Anwesenheit in diesem Büro, an dessen grauen Wänden die Firmenhistorie hing. (Die Jahre 1933 bis 1945 fehlten.)

Da saß also ihr Chef, ein kranker Mann, er saß da vor ihr und verlangte Gewissheit: Ob er künftig mit ihr rechnen könne.

Was er genau meine, fragte Frau Taube sicherheitshalber.

«Na», setzte Schwindmann an, hielt dann aber inne, weil ihm etwas auffiel: Frau Klingl, seine Assistentin, war abwesend. Wo sie war, konnte Schwindmann nicht wissen. Er war leider kein Gott, der alles sah, fühlte, roch, schmeckte. Er war nicht unsterblich, beileibe nicht, aber er wusste: Frau Taube, die nervös vor ihm saß, hatte zu viele Fehlzeiten angehäuft. Immer mal wieder krank, dabei brauchte die Firma in diesen schweren Zeiten jeden Mitarbeiter, auch die mittelmäßigen. Deswegen hatte Schwindmann den Herrn Liebauge darum gebeten, auf seine Elternzeit gänzlich zu verzichten. Er habe doch eine Frau, hatte Schwindmann gemeint, halb im Scherz gesagt, aber doch ernst gemeint. Soll sie sich doch kümmern, das sei biologisch auch so vorgesehen. Gott wolle das so, behauptete Schwindmann.

In der Gruft lagen ein paar Verwandte herum

Er selbst konnte den Kinderwunsch seiner Ex-Frau nicht erfüllen: Seine Spermien und das Seminalplasma waren von allzu schlechter Qualität. «Das ist leerer Schleim», hatte sein Urologe gesagt, doch das war Schwindmanns Geheimnis, das er mit ins Grab nehmen würde, in die Familiengruft, in der sein Vater vermoderte, der alte Lumpensammler, neben Schwindmanns Mutter Magdalena, die ihn nie umarmt hatte. In der Gruft lagen noch ein paar andere Verwandte herum, darunter seine beiden Brüder, die früh gestorben waren und deren Wohnwagen auf dem Parkplatz standen.

Mit Klaus W. Schwindmann würde die Familie bald aussterben, dieser Gedanke gefiel ihm erstaunlich gut.

Da fiel sein Blick zufällig wieder auf das hübsche Gesicht von Frau Taube. Sie versuchte sich endlich an einer Erklärung, sie sei eben einige Male krank gewesen, erst die Windpocken, dann Diphtherie und zuletzt noch eine unbekannte Tropenkrankheit, als Souvenir von der letzten Fernreise mitgebracht.

«Was fliegen Sie auch um die halbe Welt? Hier ist es auch schön», brummte Schwindmann genervt. Er sehnte sich nach seiner Klingl, oh Frau Klingl – wo war sie nur? Schwindmann riss sich zusammen, versuchte es, aber es fiel ihm schwer.

«Das geht künftig nicht mehr. Ich erwarte vollen Einsatz – auch von Ihnen», sagte er – und bewarf Frau Taube spontan mit seiner leeren Kaffeetasse, schleuderte sie in ihre Richtung, verfehlte die Taube nur knapp, sie war geschickt ausgewichen. Die Tasse krachte auf den Boden, blieb aber ganz. Wie durch ein Wunder.

«Raus jetzt!», blaffte er und die Taube flog davon.

Er betrachtete sein Reich, sein lächerliches Land

Als Herr Schwindmann wieder allein in seinem Büro war, veratmete er rasch das Ziepen am Herzen. Nur allmählich ließ der Druck in seiner Brust nach. Dann stand er umständlich auf und schleppte sich stöhnend zum schmalen Fenster. Drei Brüder waren sie gewesen. Nur noch er war da: Klaus Werner Schwindmann. Er schaute auf die Wohnwagen auf dem Firmenparkplatz, betrachtete sein Reich, sein lächerliches Land. Er war zwar der König. Doch ein Herrscher am Rande des Verfalls.